Montag der 23. März im Jahr 2020. Frühstück um viertel nach zwölf 🙂
Ich sitze mit meiner Frau am Frühstückstisch und sie bekommt von einer HR-Reporterin, die mit ihr ein Interview gemacht hat, eine Nachricht: Um 12:45 Uhr soll auf HR-Info ein Teil des mit ihr geführten Interviews zum Thema „Traum von Tokio“ ausgestrahlt werden.
Ich stehe auf und schalte HR-Info ein. Es wird gerade das Thema Olympische Spiele behandelt.
Bereits als ich mich wieder an den Tisch setze, sehe ich den veränderten Gesichtsausdruck von Katha. Unsicherheit – Trauer – Schmerz. Sie sieht aus als ob sie soeben eine Hiobsbotschaft bekommen hätte.
Ich kenne den Ausdruck aus den letzten Tagen. Oft wird abends noch einmal in die Flashnews auf Leichtathletik.de geschaut. Vielleicht gibt es ja Neuigkeiten bezüglich Olympia – wie es weitergeht mit dem Sport, mit ihrem Traum.
Das Radio läuft weiter. Es geht um die nicht vorhandene Möglichkeit faire Spiele zu gewährleisten, Dopingkontrollen können nicht durchgeführt werden. Kanada und Norwegen haben bereits für die Spiele abgesagt, sollten sie, wie ursprünglich geplant, stattfinden.
Tränen rollen über das Gesicht meiner Frau. Es ist, als ob für sie soeben jemand gestorben ist. Ein Lebenstraum.
Ihr Traum war Olympia 2016 in Rio – super vorbereitet und dann auf Grund des Wetters in Zürich – gestorben. Nach dem Rennen und dem darauffolgenden Halbmarathon im Sommer (Amsterdam) waren viele Zweifel da.
In Berlin stand sie am Start mit der Einstellung: Ich laufe mal, entweder es klappt und ich hab Spaß am Lauf oder ich höre auf. Ich weiß nicht, ob ich diese Schinderei noch will…
Jetzt, vier Jahre später, hat es mit der Norm für Olympia geklappt, der Nachweis ist auch gelungen, steht dem also eigentlich nichts mehr im Weg. Nur hoffen, dass nicht noch zwei andere Frauen in Deutschland schneller laufen.
Jetzt das. Es tut mir verdammt weh sie so zu sehen, kann aber nichts ändern.
Es ist auch nicht so, dass sie angesichts der Situation kein Verständnis für eine Verschiebung der Spiele hätte, Aber auf wann? Wie ist dann die Form? Gibt es andere Verletzungen? Für was das ganze Training im Vorfeld? Zählt die Norm aus dem Herbst noch? Alles nochmal?
Die Nachrichten im HR-Info gehen weiter. Covid-19 ist im Gazastreifen angekommen. Dort hat man im Angesicht des Virus nicht wirklich eine Ahnung was man machen soll. Das Gesundheitssystem ist so gut wie nicht vorhanden. Eine Isolation oder Ausgangssperre trifft die ohnehin wirtschaftlich schlecht aufgestellte Region noch härter. Es wird von einem Mann erzählt der jeden Tag nach Israel pendeln muss, um seine restliche Familie zu ernähren. Er ist der einzige von acht, die Arbeit haben und braucht den Gehaltscheck um Raten abzuzahlen.
Wieder schauen Katha und ich uns an. Traurig mit Olympia, ja. Für uns ist eigentlich abgeschrieben, dass die Spiele regulär stattfinden. Man hängt in der Luft und weis noch nicht wie es weitergeht.
Dennoch dankbar. Dankbar, dass wir in einer wirtschaftlich stabilen Gesellschaft leben. Dankbar, dass wir in Deutschland ein verhältnismäßig gut aufgestelltes Gesundheitssystem haben. Dankbar, dass wir keine Angst um unsere Existenzgrundlage haben müssen.
Dankbar, dass wir und unsere Familie gesund sind. Dankbar, dass wir uns haben.
„Ich denke, dass Kathas Situation keinesfalls ein Einzelfall ist und es ihr im Vergleich mit den anderen Spitzensportlern weder sonderlich gut noch schlecht geht. Vielleicht mit der Vorgeschichte Olympia 2016 etwas schlechter. Im Vergleich mit den Sportlern die keine Norm für Olympia 2020 bringen konnten, weil alle Wettkämpfe abgesagt wurden, vielleicht etwas besser.
Von der Sportart her können die Läufer wenigstens raus und einfach im Wald Laufen. Schwimmer? Ruderer? So ziemlich alle IndoorSportarten? Da sieht es schon wieder ganz anders aus. Wie sollen die trainieren?
Es ist einfach nicht wie in einem anderen Beruf wo man nach zwei bis drei Wochen Homeoffice auf die Arbeit kommt und dort wieder einsteigt, wo man aufgehört hat. Der Körper degeneriert und muss im Anschluss wieder aufgebaut werden.
In diesem Sinne an alle Sportler mit dem Traum von Tokio: Kopf hoch und alles Gute! Auch wenn die Situation scheiße ist, ím Verhältnis geht es uns hier noch immer verdammt gut.“